Übernommen aus der Kirmesrevue 03/21, Bericht von Michael Schwager (NOZ)

 
Die Südamerika-Reise, die Heinz Frickenschmidt zum 80. Geburtstag von seinen Kindern geschenkt bekommen hatte, entwickelte sich zur Zeitreise in seine Kindheit. Und das hat der aus einer alten Schaustellerfamilie stammende Osnabrücker einem brasilianischen Auto-Enthusiasten zu verdanken.


„Sehr geehrter Herr Frickenschmidt, mein Name ist Bernardo Heller aus Brasilien, und ich kontaktiere Sie zu Forschungszwecken“, mit diesen Worten hatte der sich an den inzwischen in Hasbergen lebenden Frickenschmidt gewandt. Kürzlich sei in Brasilien ein merkwürdiger VW entdeckt worden. Das kleine Auto sei  bei Volksfesten in den späten 50er- bis Mitte der 70er-Jahre mit einem gewissen Anton Gierens unter dem Spitznamen „Captain Tony“ am Steuer an einer Steilwand in ganz Brasilien gefahren. Gierens war ein Deutscher, der um 1954/55 nach Brasilien gezogen war und seine Steilwand-Auftritte mit diesem speziellen VW und einigen Motorrädern begonnen hatte.


Die Geschichte dieses Autos sei ihm ein echtes Rätsel gewesen, schrieb Heller, bis er auf der Webseite des Ehrenvorsitzenden des Schaustellerverbandes Weser-Ems Bilder von Frickenschmidts Vater in dem Steilwand-VW gefunden habe. Heller: „Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass es sich um dasselbe Auto handelt. Es wurde auf einer Kübelwagen-Plattform gebaut, und die Karosserie-Nummern weisen darauf hin, dass es sich früher um einen Käfer von 1946 gehandelt haben muss.“ Heller fügte ein paar Bilder von heute und ein paar Zeitungsbilder aus den der 60er-Jahren in Brasilien bei. Er wolle so viele Informationen wie möglich über die Geschichte dieses Autos sammeln, und für alles, was Heinz Frickenschmidt möglicherweise darüber noch weiß, auch über Anton Gierens, wäre er  sehr dankbar. Fotos wären auch eine große Hilfe. 
 

Heinrich und Martha Frickenschmidt in der Nachkriegszeit an der Steilwand.

Heinz Frickenschmidts Reise in seine Vergangenheit begann mit dieser Anfrage. Seine Eltern Heinrich und Martha Frickenschmidt, beide begeisterte Motorradfahrer, hatten Mitte der 30er-Jahre die Steilwandfahrerei kennengelernt. Sie begannen selbst, auf Jahrmärkten in einem kesselartigen Zylinder aus Holzbohlen Steilwandfahrten zu präsentieren. Die Konkurrenz unter den Sensationsdarstellern war groß. Bei gut besuchten Volksfesten, wie zum Beispiel der „Vogelwiese“ in Dresden, mussten sich die Frickenschmidts einen besonderen Nervenkitzel einfallen lassen: Das Überholungsrennen. 

Martha Frickenschmidt in Aktion

Das probten sie am Vormittag vor der ersten Aufführung. Auf ihrer „Indian“ knatterte Martha Frickenschmidt ganz gleichmäßig im Kreis, so dass ihrem Mann das Überholmanöver auf Anhieb gelang. In der Szene galt Martha Frickenschmidt fortan als „tollkühnste Frau Deutschlands“. Irgendwann donnerte Heinrich Frickenschmidt dann auch mit einem Auto, einem DKW, durch den Kessel.
Sein Sohn Heinz Frickenschmidt erlebte das als Junge mit und erinnert sich an die Zeit nach dem Krieg: „Da der DKW, mit dem mein Vater vor dem Krieg an der Wand gefahren war, auf immer verschollen blieb, ließ sich mit Hilfe einer Osnabrücker Karosseriefirma auf Basis eines Wehrmacht-Kübelwagens ein VW Rennwagen bauen.“ 
Erste Probefahrten in Osnabrück auf dem Domhof waren enttäuschend. Es stellte sich heraus, dass der Wagen zu schwer war für die Wand. Die wurde daraufhin aufwändig verstärkt. Außerdem war das Fahrverhalten ganz anders, als beim gewohnten Vorderradantrieb des DKW. Der hatte den Wagen förmlich an die Wand gezogen. Der VW musste dagegen rückwärts angesetzt und dann mit Schwung angefahren werden. Zusätzliche Vergaser-Probleme konnten mit einem Modell aus einem Flugzeug behoben werden.  

Dokumente zum Steilwandauto

Mit diesen Erinnerungen, alten Berichten, vielen Fotos und auch Film- und Tonaufnahmen von seinen Eltern im Gepäck, reiste Frickenschmidt mit Tochter und Schwiegersohn nach Südamerika. Unter anderem stand auch Argentinien auf dem Reisefahrplan. Und dann ging es nach São Paulo in Brasilien, wo Bernardo Heller schon alles vorbereitet hatte. Er hatte die Fahrt zu André Beldi organisiert, dem Besitzer einer beeindruckenden Fahrzeugsammlung, zu dem auch der Steilwand-VW gehört. 
Beldis Sammlung in der Stadt Sorocaba liegt etwa eineinhalb Autostunden von dem Hotel entfernt, in dem Frickenschmidt und seine Kinder Quartier bezogen hatten. Die Gespräche fanden auf Englisch statt, Frickenschmidts Tochter Heide Moos half aus, wenn es bei der Kommunikation klemmte. Heller hielt den gesamten Besuch mit Videokamera und Fotoapparat fest. Er fand: „Wir glauben, dass es ein wirklich historischer Moment sein wird, der dokumentiert werden muss.“ Ein Freund von Heller, der ein VW-Fachmagazin herausgibt, wollte die Geschichte des Autos und des Besuchs  aus Deutschland veröffentlichen.  

Auf großes Interesse an Dokumenten über das alte Steilwandauto stießen Heinz Frickenschmidt und seine Tochter Heide in Brasilien bei André Beldi (3. von links) und Bernardo Heller (4. von links).

Wie der Wagen vor fast 70 Jahren nach Brasilien gelangt ist, konnte Heinz Frickenschmidt letztendlich auch nicht genau aufklären. „Captain Tony“ muss den Wagen von dem Mann erworben haben, dem seine Eltern das Auto verkauft hatten. Aber warum sich seine Eltern irgendwann entschieden hatten, das Auto zu an einen Fahrer verkaufen, das weiß er genau: „Grund waren zwei tödliche Unfälle von Kollegen, und mein Bruder wurde im Dezember 1952 geboren.“ Das Osnabrücker Schaustellerpaar selbst war  immer mit kleineren Blessuren davongekommen. Angesichts der Todesfälle aber hätten sie sich „in die Hand versprochen, nie mehr an der Wand zu fahren“. 
Martha und Heinz Frickenschmidt hielten dem Jahrmarkt dennoch weiter die Treue mit für die damalige Zeit neuartigen, aber wesentlich gemütlicheren Fahrgeschäften – mit einer Motorrollerbahn zum Beispiel oder Flugzeug-Karussells. Heinrich Frickenschmidt starb 1997 mit 86 Jahren, Marthas Leben endete 2007 im Alter von 96 Jahren. 

Zeitreise mit Tochter Heide: Heinz Frickenschmidt im alten Steilwand-Kübel.

Einmal wenigstens muss sich Heinz Frickenschmidt in Brasilien wie in der Zeitmaschine gefühlt haben: Als er zusammen mit seiner Tochter in den Steilwandwagen eingestiegen und unter den Augen von Bernardo Heller und André Beldi eine Runde gefahren war. Das Auto ist heute wieder so bemalt wie früher. Mit der Aufschrift „Sensationen an der Autosteilwand – Heinz Frickenschmidt Osnabrück“. So war Heinz Frickenschmidt junior vor etwa 70 Jahren immer mal wieder auf dem Beifahrersitz mitgefahren, sein Vater am Steuer. Frickenschmidt: „Immer nur in den Ferien oder wenn die Wand in Osnabrück aufgebaut war und die Eltern für meine Schulklasse eine extra Vorstellung gegeben haben.“     

Auf Zeitreise in Brasilien

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